Blätterleser

Installation
20.000 Blätter aus einem Birkenbaum, Laminierfolien, MDF Holz, Druck auf Papier mit Rahmen2013 — 2015


Blätterleser
städtische galerie villingen-schwenningen
2015





Blätterleser
Galerie Kiosk 24, Herford
2021




Ährenleserinnen und Blätterleser
Photodruck
75x100 cm
2015













In dem Projekt „Blätterleser“ wurde experimentiert, was für eine Bindung oder Resonanz zwischen einem Menschen und einem Baum entstehen kann. Vor 9 Jahren konnte ich aus dem Fenster meiner Wohnung einen Baum betrachten. Wegen der Kälte hatten schon andere Bäume um diesen Baum herum ihre Blätter verloren, aber dieser Baum hatte seine noch, weswegen ich meinen Blick davon nicht abwenden konnte. Mit der Zeit begann ich dem Baum meine inneren Gedanken auszuschütten und war fasziniert davon, dass er mir, ohne eine Antwort zu geben, stets seine Arbeit als ein Baum leistete.

Damals hatte ich mich auch sehr bemüht, von dem Druck über neue künstlerische Erschaffungen loszuwerden. Gleichzeitig brauchte dringend etwas, um mich von meinen Schuldgefühlen abzulenken. Bis zum Frühling das Jahr darauf hatte ich den gesamten Ablauf von dem Baum, wie er seine Blätter verliert und wieder Neue blüht, beobachtet und protokolliert, fing dann an, ihren Spuren nachzugehen und sie aufzusammeln. Ich habe eine nachahmende Bedingtheit von der Arbeit durchgeführt - oder nein, besser gesagt – von dem Leben des Baumes, seine Blätter, ohne einen Tag ausfallen zu lassen, fleißig zu blühen und zu verlieren.

Da im Frühling kaum Blätter runterfielen, gab ich mir umso mehr Mühe zu beobachten und in mein Tagebuch zu dokumentieren. Als der Dauerregen im Sommer begann, konnte ich nicht alle abgefallene Blätter aufheben, auch wenn ich um die 7 bis 8 Stunden daran gearbeitet hatte. Sobald die richtige Fallzeit der Blätter kam, saß ich fast den ganzen Tag auf der Straße, um die Blätter zu sammeln. Während dieser langen Zeit, wo ich die Blätter aufgesammelt hatte, dachte ich gründlich über die Beziehung und die Möglichkeit der Erweiterung zwischen dem Erfinden und der Arbeit nach.

Während meiner Arbeitszeit habe ich ganz natürlich das Kunstwerk „Die Ährenleserinnen“ von Millet und den Dokumentarfilm „Die Sammler und die Sammlerin“ von Agnès Varda nachgeschaut. Den einen Satz „jeden Tag die Blätter aufsammeln“ als Bedingung, konnte sich meine Arbeit weiterentwickeln. Varda zeigt mit ihrem Film einen tiefen Einblick in den Kapitalismus, seine Erzeugung von zurückgebliebenen Überresten und das Leben von den damaligen verschiedenen Arbeitern. Durch das Zeigen von Menschen, die weggeworfene essbare Lebensmittel auf den Straßen sammeln und durch das Zeigen von sich selbst als Filmemacherin, die Bilder auf den Straßen sammelt, versucht sie auch beide Positionen im gleichen Zusammenhang zu verstehen. Auch ich als Künstler habe die Handlung, Blätter aufzusammeln, zusammen mit der Begierde oder auch dem Willen nach einem Fortbestand des Lebens in Verbindung gebracht.

In der Ausstellung kann man ein Bild von mir erkennen, dass ich in Frankreich im Orsay-Museum aufgenommen habe. Ich bin damals extra nach Frankreich geflogen, um das Gemälde von Millet zu betrachten. Nachdem ich ein Bild von dem originalen Gemälde gemacht habe, habe ich mich in das Bild zusammengefügt und daraus ist das Bild entstanden. Der Titel lautet: „Die Ährenleserinnen und der Blätterleser“.

Mit der Zeit veränderte sich auch mein Lebensraum durch die Sammlung, sodass kaum Platz mehr im Raum zu finden war. Nachdem ich lange darüber nachgedachte habe, entschied ich mich dafür, jedes einzelne Blatt zu laminieren, bevor ich dann lange grübelte, wie sie am besten ausgestellt werden sollten. Letzten Endes schnitzte ich mir das Holz, um die eingeschweißten Blätter sozusagen wieder in das Brett einpflanzen zu können. Dafür bekam ich Inspiration von einem Saatbeet, das man für die Aussaat benötigt. Das Brett habe ich auch so gebastelt, damit keine weiteren Sorgen um genügend Platz oder um die Aufbewahrung gemacht werden mussten. Daher entstanden auch die vielen Platten, die jederzeit umgestellt werden konnten.

Aber auch ist es wichtig zu wissen, dass mein Werk keine endgültige Vervollständigung ist. Bei jeder Ausstellung muss ich mich hinknien und jedes einzelne Blatt wieder in die Holzplatte stecken. Diese Arbeit dauert wiederum viele Tage. Während dieser bemühten Arbeit wird man los von Raum und Zeit, sodass eine Art ritualische Bindung zwischen mir und dem Baum wieder spürbar wird. Durch das Projekt möchte ich versuchen, ob wir eine neue Realität bilden können: Variablen, die ineinanderfließen und sich wechselseitig beeinflussen.